Cover
Titel
Rank and Order. The Formation of Aristocratic Elites in Western and Central Europe, 500–1500


Autor(en)
Peltzer, Jörg
Reihe
RANK. Politisch-soziale Ordnungen im mittelalterlichen Europa 4
Erschienen
Stuttgart 2015: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
376 S.
Preis
€ 49,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gerd Althoff, Historisches Seminar, Westfälische Wilhelms-Universität Münster

Der vorliegende Band bildet den Abschluss eines von der Europäischen Union über sieben Jahre geförderten starting grant, dem sich zwei Monographien und zwei Sammelbände verdanken, die aus unterschiedlichen Perspektiven die Bedeutung von Rangordnungen für die Etablierung und Aufrechterhaltung von politisch-sozialen Ordnungen im Mittelalter beleuchten.1 Hiermit setzt das Projekt eine lange Reihe von Bemühungen der internationalen Mediävistik fort, die in diesem Band jedoch kaum präsent sind. Bei der Selektion von „trodden paths and promising avenues“, so der Untertitel der ersten Publikation, hat man sich hier wohl entschlossen, sich auf „avenues“ zu konzentrieren. Charakteristika der 14 Beiträge des vorliegenden Bandes sind denn auch Internationalität, Interdisziplinarität und ihre chronologische Breite über ein Jahrtausend. Vor dieser Vielfalt kapituliert allerdings die ausführliche Einleitung des Herausgebers (S. 13-37) trotz des erkennbaren Bemühens hier Kohärenz zu stiften. Sie vermischt die Einordnung der Beiträge in einen übergeordneten Rahmen jedoch zu häufig mit eigenen Überlegungen, die eher weg- als weiterführen. Störend wirken vor allem die eingestreuten Hinweise auf allseits bekannte Fälle, die in Erinnerung gerufen werden, ohne jedoch eine wirkliche Analyse zu bieten. Dies gilt für den missverständlich angesprochenen Disput zwischen dem Abt von Fulda, dem Erzbischof von Köln und Friedrich Barbarossa beim Mainzer Hoffest 1184, der die zentralen Aspekte der tendenziösen Darstellung Arnolds von Lübeck gar nicht erwähnt, sondern zu dem zu simplen Ergebnis kommt, Barbarossa habe zu Gunsten des Erzbischofs entschieden (S. 16). Dies gilt aber auch für den knappen Vergleich der Niederlagen des englischen Königs Johann Ohneland und Heinrichs des Löwen in Gerichtsverfahren (S. 29ff.), deren angeblich „striking parallels“ kaum überzeugen können.

Dabei hätte beispielsweise ein Vergleich der wichtigen Beiträge von Jürgen Dendorfer (S. 99–116) und Jean-Marie Moeglin (S. 171–199) über die Rolle des deutschen bzw. französischen Königshofes bei der Fixierung der Rangordnung der Eliten grundsätzliche Einsichten ermöglicht. Auch hätte der königliche Umgang mit den Eliten in England und Frankreich, den Nicholas Vincent (S. 131–170) so aspekt- und kenntnisreich vorführt, geradezu danach verlangt, mit den gänzlich anderen Praktiken etwa der deutschen Könige und Kaiser im Umgang mit ihrem Hochadel verglichen zu werden. Schließlich waren die gänzlich unterschiedlichen Praktiken schon den Zeitgenossen wohlbekannt, wie die zeitgenössische Polemik gegen den Welfen Otto IV. nachweist, er wolle die deutschen Eliten so behandeln wie seine englischen Verwandten die ihren.

Seine Stärke gewinnt der Band nicht zuletzt dadurch, dass jeweils ausgewiesene Experten die Fruchtbarkeit ihrer Forschungsfelder für das Verständnis von Rang verdeutlichten. So beginnt der Band mit einem Beitrag aus anthropologischer Perspektive (Guido Sprenger, S. 39–57), der Rang als ein kulturübergreifendes Phänomen mit kosmologischen Aspekten anspricht. Verena Epp (S. 59–83) behandelt mit großer Sensibilität für qualitative Fragestellungen frühmittelalterliche Grabinschriften und ihren Beitrag zu einer rangbetonenden Einordnung der Personen. Philippe Depreux (S. 85–97) stellt für die Karolingerzeit mit gutem Grund Hincmar von Reims und sein Werk „De ordine palatii“ in den Mittelpunkt seiner Ausführungen. In der Tat lebte das Funktionieren des dort beschriebenen Hofes von der Kenntnis und Beachtung aller Regeln, die dem Rang galten. David Crouch (S. 117–129) verdeutlicht in seinem Beitrag die terminologischen Schwierigkeiten, die in den englischen Gesellschaften die im Laufe der Jahrhunderte höchst unterschiedliche volkssprachliche oder lateinische Begrifflichkeit zur Bezeichnung der Eliten machte. So ist es kaum möglich, aus den unterschiedlichen Bezeichnungen Rückschlüsse auf den Rang der bezeichneten Personen oder auf ihr Verhältnis zu den Königen ziehen zu wollen.

Da Rang vor allem in kommunikativen Akten zum Ausdruck kam, bestätigt oder auch bestritten und angegriffen wurde, gelten weitere Beiträge überdies den Zeichen, die wesentlich zur Sichtbarmachung des Ranges beitrugen. Hier kommt gleichfalls die interdisziplinäre Seite des Forschungsfeldes zum Tragen: Siegel und Münzen (vgl. den Beitrag von Andrea Stieldorf, S. 201–230), Wappen (vgl. die Beiträge von Thorsten Huthwelker, S. 231–244, und Laurent Hablot, S. 245–270), aber auch Burgen, Residenzen und Schlösser (vgl. die Beiträge von Annie Renoux, S. 271–308, Oliver Creighton, S. 309–342, und Géraldine Victoir, S. 343–359) transportierten Botschaften über den Rang derjenigen, die sie führten bzw. erbauten und bewohnten. Die Adelstürme von San Gimignano lassen grüßen.

Insgesamt bietet der Band damit eine Fülle von Anregungen, die gerade auf die Vielfalt weisen, die Rangbeziehungen in unterschiedlichen europäischen Ländern kennzeichnen. Nicht zu übersehen ist aber auch ein Defizit, das auffällig und mir unerklärlich ist. Die Beiträger verzichten vollständig auf die Behandlung der eigentlich naheliegenden Fragen, was denn aus dem eingenommenen Rang folgt, welche Möglichkeiten er bietet, welche Ansprüche von ihm abhängen, welche Türen verschlossen bleiben, wenn ein bestimmter Rang fehlt. Erst aus dieser Perspektive ist man doch in der Lage zu ermessen, warum der Rangstreit durch alle Jahrhunderte des Mittelalters so existentielle Dimensionen hatte.

Und es ist doch durchaus bekannt, welche Rolle Rang bei den Möglichkeiten politischer Einflussnahme spielte; dass aus Rang ein Anspruch auf Zugang, Gehör und Beteiligung an Entscheidungen resultierte; dass in Beratungen die Ranghöchsten zuerst sprachen und damit die Richtung doch entscheidend bestimmten; dass Ämtervergaben und Heiratsabsprachen am Rang orientiert waren; kurz: dass politisches Gewicht zwar nicht ausschließlich, aber vorrangig vom Rang bestimmt wurde. Hier scheint mir eine ausgesprochene „promising avenue“ ausgelassen worden zu sein, die zu dem ‚Sitz im Leben‘ führen dürfte, den der Rang im Mittelalter hatte.

Anmerkung:
1 Vgl. neben dem hier zu rezensierenden Band Thorsten Huthwelker / Jörg Peltzer / Maximilian Wemhöner (Hrsg.), Princely Rank in Late Medieval Europe: Trodden Paths and Promising Avenues, Ostfildern 2011; Jörg Peltzer, Der Rang der Pfalzgrafen bei Rhein. Die Gestaltung der politisch-sozialen Ordnung des Reichs im 13. und 14. Jahrhundert, Ostfildern 2013; Thorsten Huthwelker, Die Darstellung des Rangs in Wappen und Wappenrollen des späten Mittelalters, Ostfildern 2013.